Beim Singen hast du einen erheblichen Teil der Wahrnehmung der Grundtonfrequenzen deiner Stimme über Knochenschall. Wenn du einen Ton singst, der 200 Hz hat (durchschnittliche Baritonlage, in etwa G3), dann ist der Zeitraum vom Startpunkt der Schallwelle bis zu ihrem Wellental 3,75 ms. Hast du beim Monitoring eine Gesamtlatenz (Round Trip Latency) von 2,5 ms, dann löscht sich der Grundton der Stimme zwischen Knochenschall und In-Ear-Signal exakt aus. Bei 5 ms verstärkt er sich ums Doppelte (dann wummert’s). Singst du eine Oktave höher, halbieren sich die genannten Werte. Als Gitarrist oder Keyboarder stört dich all dies nicht; mangels Körperschall gibt es hier keine Auslöschungen. Als Akustikgitarrist mit Mikro-Abnehmer ist es wieder extrem wichtig für dich, denn aus der Verstärkung ums Doppelte entstehen die Rückkopplungen…
Wenn du männlichen Gesang über In-Ears monitoren willst, dann sollte die Gesamtlatenz tunlichst unter 1,5 ms bleiben, da du sonst immer Frequenzbereiche hast, die im Monitoring-Signal (gefühlt) fehlen, und andere, die sich aufschaukeln. Da ich das mit meinen Systemen unmöglich erreichen kann, bin ich bei 4,4 ms Round Trip Latency. Dadurch verschiebt sich die völlige Auslöschung etwa auf ein D4 (für mich als Bariton sowieso oberer Grenzbereich und daher mit entsprechend Druck versehen), und das Wummern verlagert sich auf ein A2 (meine absolut unterste Grenze, wo ein pushen der Grundfrequenz eher gut tut als schadet). Der ganze “Komfortbereich” zwischen C3 und C4, also da wo ich mich 90% der Zeit stimmlich bewege, wird korrekt abgebildet. Gleichzeitig sind die 4,4 ms noch kurz genug, um kein “Echo-Gefühl” aufkommen zu lassen.
Die Frage, welche Latenz auf der Bühne akzeptabel ist, ist also für Sänger eine völlig andere (und sehr viel wichtigere) als für Instrumentalisten. Letztere kommen auch mit 10 ms noch klar, solange die Latenz konstant bleibt. Bei Sängern ist die Stimmlage entscheidend, ob die gewählte Latenz zu ihnen “passt”. Oder man bleibt eben unter 1,5 ms RTL (sprich: Direct Monitoring), dann egal.
Sänger kommen mit (mehreren) Wedges immer besser klar, da durch die Schallreflexionen hinter der Bühne und die unterschiedlichen Entfernungen der Bodenmonitore ein Latenzbrei entsteht, der Auslöschungen m. o. w. unerheblich macht. Dafür aber auch meist in einem Klangbrei endet.